Trauma

Ich bin 14, meine beste Freundin 13. Sie lebt seit ein paar Monaten wieder bei ihrer Mutter, weit weg, wir sehen uns nur selten. An einem Wochenende besuche ich sie. Wie sehen uns ein Basketballspiel im Nachbarort an. Als wir zurückkommen, erwartet uns ihr Freund. Zwei Jahre älter, betrunken, zornig. Er versperrt uns den Weg – nein eigentlich nur ihr. Schreit sie an. Sie sei ihm fremdgegangen. Er würde sich umbringen. Schubst sie.
Sein bester Freund kommt hinzu, verteidigt uns, schickt ihn weg. Ich weiß nicht mehr warum er dann auch tatsächlich geht. Es ist schon sehr spät, aber an nach Hause gehen ist nicht zu denken, wir würden an seinem Haus vorbei kommen. Haben Angst, dass er uns auflauert. Sein bester Freund bleibt bei uns, wir setzen uns an den Fluss, rauchen eine Zigarette nach der anderen, wissen nicht was wir tun sollen. Schließlich entscheiden wir uns nach Stunden, doch nach Hause zu gehen. Kommen an seinem Haus vorbei. Sein Fenster im zweiten Stock ist offen, man hört laute Musik. Und Schreie. Er schreit und wimmert. Sein bester Freund stürmt ins Haus. Die Schreie werden lauter, etwas fliegt aus dem Fenster, wir gehen nachsehen – ein blutiges Schälmesser. Meine beste Freundin bekommt einen regelrechten Nervenzusammenbruch, wird ohnmächtig. Wird wieder wach und rennt ins Haus. Ich hinterher. Der beste Freund kommt mir entgegen, kriegt kein Wort heraus. Blut klebt an seinen Händen. Ich renne weiter dir Treppe rauf, komme in die Wohnung und sehe meine beste Freundin wimmernd im Flur hocken. Blut auf dem Boden. Ich schaue geradeaus, gehe weiter, die einzige offene Tür ist links. Drehe mich um 90º und sehe ihn da liegen, vor dem blutverschmierten Fenster, schreiend, heulend, Blut quillt aus zentimetertiefen langen Schnitten in seinem Arm, vor ihm eine großte Blutlache – einfach nur überall Blut. Ich betrachte die Szenerie und nichts rührt sich in mir. Drehe mich um, wähle den Notruf und erkläre was ich sehe. Der Notarzt komme gleich. Ich solle ein Handtuch fest auf die Wunde pressen, solange der Verletzte es zulässt. Das tue ich auch. Meine beste Freundin hat sich wieder gefangen und kümmert sich um die fast taube Mutter, die von alldem nichts mitbekommen hat. Der beste Freund wartet auf den Krankenwagen.
Später – Wir sitzen bei meiner besten Freundin zu Hause, zornige Mutter, Polizei. Fühlt sich an als hätten wir Scheiße gebaut. Ich bleibe die Nacht über noch bei ihr, aus Angst sie tut sich was an. Meine Mutter holt mich ab, ich erzähle was passiert ist. Sie nimmt mich während der Fahrt in den Arm, mir ist das irgendwie perinlich, schließlich gehts mir doch gut!

Das ist meine Erinnerung. Etwas bruchstückhaft wie ich finde und am Ende auch nicht richtig. Meine Mutter erzählte mir irgendwann, dass ich nicht mehr bei meiner besten Freundin geschlafen hätte. Sie habe mich sofort abgeholt und ich sei total aufgeregt und durcheinander gewesen, hätte am ganzen Leib gezittert. Daran kann ich mich nicht erinnern. In meinem Kopf hab ich das alles ganz cool weggesteckt. In Wahrheit habe ich den Schock wohl verdrängt. Bis heute habe ich dieses „falsche“ Bild und kann mich nicht an den Schock erinnern.

2 Kommentare zu „Trauma

  1. Hallo Libra,
    ich glaube es ist normal das man sich nur bruchstückhaft an solche schlimmen Ereignisse erinnert. Möglicherweise ist das gar keine Verdrängung sondern ein Schutzmechanismus der hilft nur das zu verarbeiten zu dem du in der Lage bist. Es kann meiner Meinung nach gut sein das so nach und nach noch mehr Erinnerungen hochkommen eben so wie du sie verdauen kannst:) ( Bin allerdings kein Profi)

    LG Tinkerbell 72

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    1. Ja, der Meinung bin ich auch. Allerdings finde ich es verwunderlich, dass solche Details, wie z.B. wann meine Mutter mich abgeholt hat, sich mir noch entziehen obwohl ich mittlerweile weiß wie es ablief…
      Naja, das Unterbewusstsein wird schon wissen was es mir zumuten kann und was nicht.

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